Pinnwand
Blick auf die Einrichtung

Mehr Pflegefälle im Landkreis

In Zukunft müssen mehr Senioren gepflegt werden.
Trotzdem sollen sie so lange wie möglich zu Hause wohnen.

01.06.2016 Von Nina Schirmer (Foto: © Claudia Hübschmann)

Die Anzeichen sind eindeutig: Es gibt immer mehr ältere Menschen und die Gesellschaft richtet sich darauf ein. Lupen am Einkaufswagen, Parkplätze für Rollatoren, E-Bikes für Senioren – all diese Dinge stehen sinnbildlich für den demografischen Wandel. Dafür, dass die Generation 60 plus weiter wächst. Im Landkreis Meißen war im vergangenen Jahr mehr als ein Viertel aller Einwohner über 64 Jahre alt. 2020 werden es 28,3 Prozent sein. Und 2030 sogar mehr als ein Drittel. Von dieser Prognose geht das Landratsamt aus. Vor allem der Anteil sogenannter Hochaltriger, also Menschen über 80 Jahre, wird überproportional steigen.

In der Werbung radeln rüstige Senioren in den Sonnenuntergang, rocken alte Herren in einer Band und tanzen Grauhaarige die Nächte durch. Was in der Heilen-Welt-Schau der ewig fitten Rentner nicht gezeigt wird: Nicht jeder ist bis ins hohe Alter körperlich und geistig vital. Die Realität: Mit der Zahl der Senioren wird auch die Anzahl von Pflegefällen im Landkreis steigen, prognostiziert das Landratsamt. Mussten 2009 noch 7 590 Menschen gepflegt werden, wird es 2020 über 10 000 und 2030 mehr als 11 700 Pflegefälle im Landkreis geben. Gleichzeitig verändern sich bestehende Familienstrukturen. Schon jetzt ist immer seltener gewährleistet, dass die Familie ihre Angehörigen pflegen kann. Oft lässt die Arbeit keine Zeit. Nicht immer wohnen die Kinder im selben Ort.

Die Alternative, das Pflegeheim, ist teuer. Laut einer Berechnung des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) kostete ein Platz im Pflegeheim in Sachsen 2015 im Durchschnitt zwischen 1 800 und 2 650 Euro im Monat – je nach Pflegestufe des Bewohners. Ein Großteil dieser Kosten ist durch die Pflegeversicherung abgesichert. Zwischen 740 und 1 040 Euro müssen die Bewohner aber selbst zahlen. Viel Geld gemessen an den Renten. Die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland hat 2014 in Sachsen durchschnittlich knapp 950 Euro Rente an Männer und 823 Euro an Frauen pro Monat ausgezahlt. Weniger also, als manch ein Pflegeplatz kostet. Derzeit gibt es im Landkreis 37 Pflegeheime. Rund 2 500 Menschen leben dort.

Mit dem Auto vorm Pflegeheim

Eine von ihnen ist Lieselotte Wießner. Seit vier Jahren wohnt sie im Pflegeheim pro civitate in Meißen. Mit einem rosa T-Shirt und Perlenkette um den Hals steht die 89-Jährige im Garten des Hauses. „Warum sollen die guten Sachen nur im Schrank hängen?“, sagt sie, angesprochen auf ihre schicke Kleidung. Die gebürtige Meißnerin ist geistig topfit. Nur ihre Beine wollen nicht mehr ganz so. Sie wurde mit einer Schiefstellung der Hüfte geboren. Mit 60 bekam sie ein künstliches Hüft- und mit Anfang 70 ein Kniegelenk. Zum Laufen braucht sie zwei Krücken oder einen Rollator.

Einkaufen, putzen, Essen kochen – bis ins hohe Alter hat Lieselotte Wießner das alles allein in ihrer Wohnung in Coswig gemacht. Ihre Wege schaffte sie vor allem, weil sie eine leidenschaftliche Autofahrerin war. Mit ihrem Wagen ist sie sogar noch bei ihrem Einzug ins Pflegeheim vorgefahren. Doch irgendwann hätte sie den Haushalt nicht mehr alleine geschafft. „An einer Wohnung hängt viel“, sagt sie. „Und eines Tages könnte es mir auch gesundheitlich schlechter gehen.“

Verwandte hat die Seniorin, die nicht verheiratet war und keine Kinder hat, nicht mehr. Deshalb ist sie froh, dass ihr nun im Pflegeheim geholfen wird. Ihre einzige Bedingung vor ihrem Einzug: Sie wollte ein Einzelzimmer. „Ich bin lieber für mich und kann Gequatsche nicht leiden“, sagt sie. Ansonsten fühlt die Meißnerin sich wohl. Am liebsten gärtnert sie an den Hochbeten im Garten. „Hier ist meine Arbeitsstelle“, scherzt sie. Ihre Rente und eine kleine Ersparnis gehen für den Heimplatz allerdings fast vollständig drauf.

Doch nicht nur die Kosten für die Pflege können zum Problem werden. Bevor überhaupt jemand in einem Heim betreut werden kann, muss dafür ausreichend Personal da sein. Der Bedarf an Pflegekräften wird auch im Landkreis Meißen merklich steigen, sollten die Prognosen des Landratsamtes zutreffen. Nur: Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für die anstrengenden und nicht selten schlecht bezahlten Pflegeberufe.

Zu Hause bleiben so lange es geht

Vielleicht auch deshalb werden im Landkreis Anstrengungen unternommen, damit Einwohner trotz Pflegebedarf so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben. „Ambulant vor stationär“ heißt die formulierte Prämisse in einer Mitteilungsvorlage des Sozialausschusses. Hierbei wird der Landkreis vom Freistaat unterstützt. Das Sächsische Sozialministerium finanziert die Etablierung einer Koordinationsstelle für Pflege und Vorsorge älterer Menschen anteilig zu 50 Prozent. Der Landkreis hat zu Beginn des Jahres 1,5 Stellen in der Pflegekoordination geschaffen. Ziel des Pflegemanagements ist es, Kontaktstellen für Senioren in den Kommunen des Landkreises einzurichten. Besonders im ländlichen Raum ginge es darum, ein gutes „Altwerden im Dorf“ zu ermöglichen.

Die Kommunen sollen die älteren Einwohner als erste Ansprechpartner beraten und Versorgungsnagebote vermitteln. Für spezielle Themen, wie Wohnberatung, Rentenberatung und Betreuung und Vorsorge sollen regelmäßig externe Ansprechpartner Sprechstunden in den Gemeinden anbieten.

Schon in den letzten Jahren hat der Kreis einen Fokus auf ambulante Pflege gesetzt. Neue stationäre Pflegeheime wurden nicht eröffnet. „Ein guter ambulanter Pflegemix vor Ort, Angebote der Tagesbetreuung und neue gemeinschaftliche Wohnformen wie Demenz-Wohngruppen, Wohnen mit Service und betreutes Wohnen haben sich in den letzten Jahren etabliert, Tendenz steigend“, sagt Kreissprecherin Kerstin Thöns. Der Bedarf an Pflegeheimplätzen würde deshalb nicht konvergent mit der Zahl der Pflegefälle steigen.

Mitte Juni soll eine erste landkreisweite Pflegekonferenz stattfinden. Dann wird auch über die Pflegeausbildung diskutiert. Außerdem ist geplant, bis Ende Juni eine Datenbank mit allen Versorgungsangeboten im Landkreis zu erstellen. Bis 2017 sollen niedrigschwellige Betreuungsangebote, wie Nachbarschaftshelfer und Alltagsbegleiter auch in kleinen Gemeinden etabliert werden.

Lieselotte Wießner konnte sich jahrelang der Hilfe ihrer Nachbarn sicher sein. Die haben ihr immer die Einkäufe in die erste Etage getragen, bevor sie ins Heim gezogen ist.

Artikel-URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/mehr-pflegefaelle-im-landkreis-3409313.html
Quelle: Sächsische Zeitung